"Meine Achte ist mein Mysterium", sagte der
Komponist Anton Bruckner (1824 - 1896). Keiner hat sich länger und
tiefer in dieses gewaltige Werk versenkt als Günter Wand - ein Dirigent,
der selbst ein Mysterium ist.
Am 7. Januar ist er 88 Jahre alt geworden. Und wenn er am 8. Juli das
Schleswig Holstein Musik Festival mit Bruckners Riesenwerk (Spielzeit ca.
80 Minuten) eröffnet, wird im Publikum auch sein Chirurg sitzen.
Der hat vor elf Jahren, im April 1989, auch ein kleines Wunder vollbracht.
Günter
Wand war nach einem Konzert in Hamburg in seiner Wohnung gestürzt.
Diagnose: "Ausgedehnter Trümmerbruch". Der linke Oberschenkel mußte
mit acht Schrauben von innen fixiert und außen mit einem Metallgestell
gestützt werden. "In diesem Moment", so hat Wand mir vier Jahre
später erzählt, "habe ich gedacht: Das war´s. Jetzt ist´s
vorbei",
War es nicht. Im November 1989 dirigierte er das Chicago Symphony Orchestra,
einst vom Komponisten Igor Strawinsky (1882 - 1971) als das virtuoseste
Orchester der Welt bezeichnet. In Chicago haben die Musiker gefragt: "Warum
kommt dieser Mann erst jetzt zu uns?" Wenn Günter Wand sich an
diesen Erfolg und viele andere seiner späten Jahre erinnert, breitet
er seine Arme so weit aus wie ein Adler seine Flügel und ruft: "Was
meine Karriere angeht, so kann ich nur sagen: zu spät." Und fügt
mit zornig blitzenden Augen hinzu: "Nicht ich bin es, der eine Karriere
verpasst hat, sondern der Musikbetrieb hat mich verpasst".
Richtig entdeckt wurde der Sohn eines begüterten Kaufmanns aus
Elberfeld erst, als er 1974 in Köln in Pension gegangen worden war.
Dort
war er 28 Jahre lang Kapellmeister der Gürzenich - Konzerte gewesen
und hatte sich stets für die zeitgenössische Musik eingesetzt.
Und wenn das Publikum mal wegen der modernistischen Zumutungen maulte,
hat er sich gesagt: "Ich merke, daß Sie das Stück noch nicht
verstanden haben. Ich hoffe, daß Sie sich darüber freuen, wenn
wir es noch einmal spielen."
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Das einzige, das ihm fehlte, so meinte man damals in Köln, war
das gewisse Etwas: Charisma. Die Kölner heuerten deshalb den 43jährigen
ungarischen Jung-Star Istvan Kertez an. Doch der ertrank bei einem Badeurlaub,
bevor er die Nachfolge Wands antreten konnte.Der begann seine zweite, seine
große Karriere genau in dem Alter, in dem Politiker, Manager und
Funktionäre vergreisen: mit siebzig als Chef des NDR - Symphonieorchesters
in Hamburg.
Und nach wenigen Jahren sorgte die Mundpropagande der Kenner,
daß das Publikum seinen Konzerten beiwohnte wie heiligen Handlungen.
Auf die Frage, warum er Bruckners Riesenwerke wieder und wieder dirigierte,
läßt er das kältebeschlagene Gläschen mit Wodka sinken,
das er sich als Medizin gegen das "Nachzittern der inneren Spannung gönnt",
wie er sagt. Nachzittern? "Ja, wenn man solch ein Werk ein paar Wochen
nicht dirigiert hat, muß man es neu erarbeiten. Und manchmal entdeckt
man, was man alles falsch gemacht hat. Und schämt sich. Um nichts
falsch zu machen, ungewöhnlich in der Branche, selbst in Chicago oder
in Berlin fünf vierstündige Proben, "Nicht ich brauche diese
Proben", sagt der Altmeister, "wir brauchen sie - und die Musik bräuchte
noch mehr Proben." |