Anton Bruckner

Günter Wand
Nach der Pensionierung begann seine Karriere

Artikel in der Bildungszeitung  :-)  im Juni 2000 von Jürgen Kestings "Musikstück"
 
 
"Meine Achte ist mein Mysterium", sagte der Komponist Anton Bruckner (1824 - 1896). Keiner hat sich länger und tiefer in dieses gewaltige Werk versenkt als Günter Wand - ein Dirigent, der selbst ein Mysterium ist.

Am 7. Januar ist er 88 Jahre alt geworden. Und wenn er am 8. Juli das Schleswig Holstein Musik Festival mit Bruckners Riesenwerk (Spielzeit ca. 80 Minuten) eröffnet, wird im Publikum auch sein Chirurg sitzen.

Der hat vor elf Jahren, im April 1989, auch ein kleines Wunder vollbracht. Günter Wand war nach einem Konzert in Hamburg in seiner Wohnung gestürzt. Diagnose: "Ausgedehnter Trümmerbruch". Der linke Oberschenkel mußte mit acht Schrauben von innen fixiert und außen mit einem Metallgestell gestützt werden. "In diesem Moment", so hat Wand mir vier Jahre später erzählt, "habe ich gedacht: Das war´s. Jetzt ist´s vorbei",

War es nicht. Im November 1989 dirigierte er das Chicago Symphony Orchestra, einst vom Komponisten Igor Strawinsky (1882 - 1971) als das virtuoseste Orchester der Welt bezeichnet. In Chicago haben die Musiker gefragt: "Warum kommt dieser Mann erst jetzt zu uns?" Wenn Günter Wand sich an diesen Erfolg und viele andere seiner späten Jahre erinnert, breitet er seine Arme so weit aus wie ein Adler seine Flügel und ruft: "Was meine Karriere angeht, so kann ich nur sagen: zu spät." Und fügt mit zornig blitzenden Augen hinzu: "Nicht ich bin es, der eine Karriere verpasst hat, sondern der Musikbetrieb hat mich verpasst".

Richtig entdeckt wurde der Sohn eines begüterten Kaufmanns aus Elberfeld erst, als er 1974 in Köln in Pension gegangen worden war. Dort war er 28 Jahre lang Kapellmeister der Gürzenich - Konzerte gewesen und hatte sich stets für die zeitgenössische Musik eingesetzt. Und wenn das Publikum mal wegen der modernistischen Zumutungen maulte, hat er sich gesagt: "Ich merke, daß Sie das Stück noch nicht verstanden haben. Ich hoffe, daß Sie sich darüber freuen, wenn wir es noch einmal spielen."
 

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Das einzige, das ihm fehlte, so meinte man damals in Köln, war das gewisse Etwas: Charisma. Die Kölner heuerten deshalb den 43jährigen ungarischen Jung-Star Istvan Kertez an. Doch der ertrank bei einem Badeurlaub, bevor er die Nachfolge Wands antreten konnte.Der begann seine zweite, seine große Karriere genau in dem Alter, in dem Politiker, Manager und Funktionäre vergreisen: mit siebzig als Chef des NDR - Symphonieorchesters in Hamburg. Und nach wenigen Jahren sorgte die Mundpropagande der Kenner, daß das Publikum seinen Konzerten beiwohnte wie heiligen Handlungen.

Auf die Frage, warum er Bruckners Riesenwerke wieder und wieder dirigierte, läßt er das kältebeschlagene Gläschen mit Wodka sinken, das er sich als Medizin gegen das "Nachzittern der inneren Spannung gönnt", wie er sagt. Nachzittern? "Ja, wenn man solch ein Werk ein paar Wochen nicht dirigiert hat, muß man es neu erarbeiten. Und manchmal entdeckt man, was man alles falsch gemacht hat. Und schämt sich. Um nichts falsch zu machen, ungewöhnlich in der Branche, selbst in Chicago oder in Berlin fünf vierstündige Proben, "Nicht ich brauche diese Proben", sagt der Altmeister, "wir brauchen sie - und die Musik bräuchte noch mehr Proben."

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